Barrierefreies Fliegen: Strong Wings hebt in Coburg ab
Der Schweizer Verein Strong Wings bringt Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen in die Luft – kostenlos, ehrenamtlich und mit viel Herz. In Coburg machte das Team zum ersten Mal in Deutschland Station.

Hartmut Reder kennt den Traum vom Fliegen – und das Gefühl, ihn nie erleben zu können. Seit seiner Geburt lebt der Coburger mit einer spastischen Tetraparese. Sitzen kann er nur halbliegend, sein Spezialrollstuhl ist sperrig – für klassische Rundflüge kaum geeignet. Doch in diesem Sommer wurde Unmögliches möglich: Der Verein Strong Wings machte Halt in Coburg und ermöglichte Hartmut barrierefreies Fliegen.
Den Anstoß gab seine Freundin Ulrike Luthardt. Sie hatte in den Medien von Strong Wings gelesen und beim Aero Club Coburg nachgehakt. Dort nahm sich Ulrich Eberhardt Schramm der Sache an. Der erfahrene Privatpilot hatte das Schweizer Team um Beat Fankhauser im Frühjahr auf der AERO 2025 kennengelernt – und spontan nach Coburg (EDQC) eingeladen. Der Besuch fiel zusammen mit dem Auftakt zur 75 Jahr Feier des Aero Clubs.
Barrierefreies Fliegen über Oberfranken
Strong Wings fliegt seit rund zwei Jahren Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen. »Wenn du das Strahlen nach der Landung siehst, ist das unbezahlbar«, sagt Initiator Beat Fankhauser. Zusammen mit Pilot Fritz Christen und Betreuerin Marion Granella war er mit einer Piper PA 32R Saratoga angereist.
Vom 15. bis 17. August hob die Saratoga insgesamt 21 Mal ab. An Bord: 53 Passagiere zwischen vier und 64 Jahren – Menschen mit Autismus, Querschnittslähmung, Krebserkrankung oder Diabetes. Auch Angehörige einer Familie, die kürzlich ein schwerer Schicksalsschlag traf, durften für einen Moment den Alltag vergessen. Geflogen wurde eine klassische Oberfranken Route – vorbei an der Veste Coburg über Kloster Banz und den Staffelberg.
Drei Tage, 53 Fluggäste
RollstuhlPatrick Heerlein war einer der bewegendsten Fälle. Seit einem Autounfall mit 19 Jahren ist er fast vollständig gelähmt, kann nur den Kopf und einen Arm bewegen. Der Flug? »Einfach traumhaft«, sagte der 46-Jährige danach – mit einem Grinsen, das kein Ende nahm. Seine Pflegekraft flog mit, zur Sicherheit. Und auch Patrick war zusätzlich gesichert – aber vor allem begeistert. »So schön, das alles von oben zu sehen!«
Die Crew hatte vorab klare Zeichen vereinbart: Daumen hoch heißt »alles gut«, Daumen runter bedeutet Abbruch des Flugs und baldmögliche Landung. Patricks Daumen blieb oben. »Er hat uns alle mit seinem Humor und seiner Energie beeindruckt«, sagt Pilot Fritz.
Emotionen in Serie
Auch andere Fluggäste wie Monika Oesper oder die schüchterne Lisa Marie waren nach dem Flug wie verwandelt. »Sie redete plötzlich wie ein Wasserfall«, so ein Helfer. Der fünfjährige Glen reckte fröhlich den Daumen in die Kamera; ein junger Autist, der sonst bei lauten Geräuschen überfordert ist, genoss das Rütteln des Fliegers sichtlich.
Für die Organisation und reibungslose Abläufe sorgte Marion Granella. Jeder Gast bekam eine eigene Bordkarte als Erinnerung. Unterstützung kam auch vom Flugplatz selbst: Start und Landegebühren wurden erlassen, der Aero Club übernahm Unterkunft und Verpflegung der Schweizer Gäste. Lokale Helferinnen wie Brigitte Sölch und Dagmar Keis Lechner sorgten dafür, dass die Flüge bekannt wurden – und alle Plätze vergeben waren.
Wie barrierefreies Fliegen Leben verändert
Transport ins Flugzeug»Die Strong Wings haben Menschen ein Lächeln geschenkt – und Tränen in die Augen gezaubert«, sagt Ilka Betzold, die eine Teilnehmerin begleitete. Der vierjährige Matheo meinte nach seinem ersten Flug: »Das war einfach nur abgefahren!« Und Hartmut Reder, dessen Traum endlich wahr wurde, war tief bewegt: »Ein absolutes Highlight in meinem Leben.« Nach der Landung berührte er ehrfürchtig die Saratoga: »Ich kann es kaum glauben, dass ich wirklich drin gesessen habe.«
Auch viele Angehörige zeigten sich bewegt. Eltern, Betreuer und Freunde berichteten, wie sehr der Flug die Stimmung und das Selbstvertrauen ihrer Liebsten veränderte. Eine Teilnehmerin, die sonst sehr zurückgezogen lebt, habe sich nach der Landung zum ersten Mal spontan umarmt. »Es war, als hätte sie plötzlich Flügel bekommen – nicht nur im Flugzeug, sondern innerlich«, erzählte eine Mutter.
Barrierefreies Fliegen bedeutet mehr als Abheben
Andere Gäste stellten vor dem Abflug neugierige Fragen: Wie schnell fliegt das Flugzeug? Was passiert, wenn der Motor ausfällt? Pilot Fritz Christen nahm sich Zeit für alle – und sorgte so auch am Boden für Vertrauen.
Für das Team von Strong Wings ist genau das die Motivation. »Wir wollen keine Sensation, sondern echte Begegnung«, sagt Beat Fankhauser. Nicht das Fliegen allein steht im Mittelpunkt – sondern das Gefühl, etwas geschafft zu haben, das lange unmöglich schien.
Wiederholung geplant
Ulrich Eberhardt Schramm ist begeistert von der Resonanz: »Das müssen wir wiederholen.« Auch Beat Fankhauser verabschiedete sich nicht ohne Versprechen: »Patrick, wir zwei fliegen nochmal zusammen!«
Vielleicht war der Besuch von Strong Wings in Coburg nur der Auftakt – für weitere Flugtage, weitere Träume, weitere Momente, in denen die Sorgen am Boden bleiben. Denn manchmal genügt ein Flug, um Menschen wieder Mut zu machen.
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